Anna Altmeier

Liebe und Schmerz, aber auch Eros und Tod – das sind die zentralen Themen im Werk von Anna Altmeier.

Unter dem Titel Restlicht – Fragmente des Lebens erzählt uns Anna Altmeier in ihren neuesten Arbeiten Kurzgeschichten. Es sind narrative Fragmente, die bizarr und sehr persönlich anmuten. Intim, detailreich, subtil und mit grosser Feinabstimmung erzählen sie Short Stories. Altmeier ist eine Erzählerin, die aus einem Tal der Märchen hinaufsteigt, um wieder in ein Tal der dunklen Ästhetik hinabzusteigen.

Interpretieren wir diese Narration, entdecken wir in ihr ein Tal der Traumprotokolle und der Hypnoseversuche, die an Filme erinnern. Wenn wir Altmeier betrachten, die uns durch die Sujets führt, werden wir an eine Künstlerin erinnert, die in sich hineinhorcht, Vertrauen hat in ihre Intuition und sich mit Träumen beschäftigt.

Meret Oppenheim sagte einst in einem Interview: „Träume sind noch diese innere Verbindung, die der Erwachsene mit der URWELT hat, denn aus dem Intellekt kommt nichts, man kann nicht mit dem Intellekt Kunst machen, man kann mit dem Intellekt Sachen produzieren, die einem aber nicht die Seele ergreift. In eine URWELT, wie sie Meret Oppenheim zeichnet, folgen wir Altmeiers Sujets in eine phantastische Welt, die dem Kollektiven Unbewussten entnommen sind. Wie bei Altmeier ist die Erzählung auch bei den Surrealisten von grosser Bedeutung. Literatur, Kunst und Film fanden in dieser revolutionären Bewegung mediale Öffentlichkeit, die sich gegen traditionelle Formen richtete. Traumhaftes, Unbewusstes, Absurdes und Phantastisches waren das Zentrum.

Der Begriff Short Story stammt aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts und fällt mit dem Aufkommen des Zeitungswesens zusammen. Zeitschriften boten den Autoren besser Absatzmöglichkeiten als der Buchmarkt. Die Short Story musste sich in Europa aber zuerst durchsetzen gegen andere Formen der Literatur wie Novelle, Anekdote, Kalendergeschichte. Die Farben und das Mischen der Farben auf der Palette haben bei Altmeier etwas Dichterisches, der Duft der Farben, die Farben an sich haben etwas Literarisches, und durch die Malerei vermittelt sie uns ein Bild der analytischen Psychologie. Irgendwo ist da eine Sprache, eine Resonanz, ein Tonfall, der uns auf bestimmte Weise berührt.

Ihre Erzählungen sind in desolaten Milieus angesiedelt und durchzogen vom Gefühl der Isolation und Hoffnungslosigkeit. Sind sie auch das Abbild einer zerfallenden Gesellschaft? In den traumhaften, narrativen Fragmenten von Altmeier geht es um Figuren mit selbstzerstörerischen Impulsen, die sich meistens in einer erotisch gefärbten Freundschaft wiederfinden. Der Film Short Cuts von Robert Altmann erzählt Episoden über Beziehungsprobleme und unglamouröse Wirklichkeiten. Altmeier tut dasselbe, wenn sie in ihren Titeln Waiting Area, In der Unterwelt, Letzte Stunden. Exil, Undercover, Der Preis der Liebe, Hochzeitsfinsternis, und City Date auf die Wirklichkeit verweist.

Im Bild „Undercover“ ist eine wartende Frau in einem Tüllkleid, sitzend, erhöht und schwebend neben einem Rucksack. Beleuchtet wird das verlassene Kellerlokal nur mit einer Glühbirne. Vielleicht ist es kalt. Im Haar trägt sie ein Gebinde wie bei einer Braut. Wartend. Sie ist geschminkt und ihre Augen scheinen einen Gegenstand zu betrachten. Hat sie Angst? Sie kommt mir vor wie eine junge Frau, die an einen fremden Mann verheiratet wurde und ihn nicht kennt, eine Immigrantin, eine Flüchtende, eine Vergessene, die in ein Brautkleid gestossen wurde und in einem Keller nun ihrem Schicksal wartet. Ihr Blick suggeriert eine Hoffnung.

„Letzte Stunden“ ist das Bild einer jungen Frau, die sich im Spiegel betrachtet. Auf der Oberfläche spiegeln sich unscharfe Bilder, Umrisse und hauchfeine Farbnebel. Es scheint, als werde der Betrachter dazu angehalten, auf Fotografien zu warten, die sich quasi während des Betrachtens erst entwickeln. Im Spiegelbild findet sich der Hinweis auf Individualität und Selbstreflexion.

Daniel Samuel Suter, Marks Blond Project R.f.z.K, Kurator und Dozent, Zürich/Bern